Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme nach Erlass einer Einspruchsentscheidung

Abgabenordnung

Im Einspruchsverfahren ist auch eine Verböserung möglich. Bis wann dürfen Sie einen Einspruch noch zurücknehmen, um dies zu vermeiden?

In einem Einspruchsverfahren kann der angefochtene Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer sogenannten verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).

Dies kann ggf. durch rechtzeitige Rücknahme des Einspruchs verhindert werden. Die Rücknahme kann bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erfolgen (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO).

Auch hierbei gilt die gesetzliche Vermutung, dass die Entscheidung bei einer Übermittlung im Inland seit diesem Jahr grundsätzlich am vierten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO n.F., geändert durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz (bis Ende 2024: dritter Tag)).

Geht die Einspruchsentscheidung dem Empfänger tatsächlich vor Ablauf des Vier-Tage-Zeitraums zu, ist das nach der Rechtsprechung des BFH unbeachtlich (BFH-Urteile vom 13.12.2000 - X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl. II 2001, 274 und vom 26.02.2002 - X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409). Etwas anderes gilt, wenn die Entscheidung „förmlich“, d.h. per Einschreiben mit Rückschein oder Postzustellauftrag versandt wurde. In dem Fall ist der tatsächliche Zugang entscheidend. (AEAO zu § 122, Tz. 3.1.2, § 182 ZPO)

Aber wie verhält es sich, wenn die Einspruchsentscheidung erst nach den vier Tagen im Briefkasten des Empfängers liegt?

Hier neigt der BFH zu der Auffassung, dass es auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs ankommt, also darauf, um wieviel Uhr die Post ausgeliefert worden ist und ob eine Kenntnisnahme unter normalen Umständen um diese Zeit erwartet werden konnte (BFH, Urteil vom 18.06.2024 – VIII R 16/21, Rz. 44 ff.).

Den Zeitpunkt hat das FA zu ermitteln, wobei der Steuerpflichtige zur Mitwirkung verpflichtet ist. Sollte zwar feststehen, dass die Einspruchsentscheidung erst nach den vier Tagen zugegangen ist, sich aber der genaue Zugangszeitpunkt nicht ermitteln lässt, ginge das zu Lasten des Einspruchsführers. Denn die Feststellungslast für die rechtzeitige Einspruchsrücknahme trägt der Steuerpflichtige, der sich auf den Zugang der Rücknahme vor dem Zugang der Einspruchsentscheidung beruft und auf diesem Wege die Herabsetzung der Steuer auf die Höhe vor der Verböserung begehrt.

Es empfiehlt sich daher, den Zeitpunkt des Zugangs zu dokumentieren.

Hinweis:

Beachten Sie aber, dass innerhalb der Festsetzungsfrist eine Korrektur der Steuerfestsetzung nach den übrigen Vorschriften der AO (§ 129, 173 ff. AO) natürlich trotzdem möglich bleibt, auch wenn der Einspruch zurückgenommen wurde.

Praxistipp:

Als Alternative zu einem Einspruch kann auch ein Antrag auf schlichte Änderung gestellt werden. Er ist formlos möglich und kann somit sogar telefonisch erfolgen. Dann kann das Finanzamt die Steuerfestsetzung nicht in vollem Umfang überprüfen und eine Verböserung ist ausgeschlossen. Allerdings können nicht in sachlichem oder rechtlichem Zusammenhang mit der beantragten Änderung stehende materielle Fehler ggf. über § 177 AO im Umfang der begehrten steuermindernden Änderung berichtigt werden. (AEAO zu § 172, Tz. 2)

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