Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) aufheben oder ändern.
Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen (§ 165 Abs. 2 Satz 2 AO).
In den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist (§ 165 Abs. 2 Satz 4 AO).
Klägerin Sandra studierte nach einer dreimonatigen Ausbildung zur Rettungssanitäterin in den Jahren 2011 bis 2016 Medizin. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2015 und 2016 machte sie die Kosten hierfür als Werbungskosten nach § 9 Abs. 6 EStG geltend.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung erkannte das Finanzamt die Aufwendungen erklärungsgemäß, aber nicht den gesetzlichen Regelungen entsprechend, an.
Die Bescheide ergingen hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung unter einem Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO. Hierin wurde ausgeführt, dass die Vorläufigkeitserklärung die Frage erfasst, ob §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 EStG mit höherrangigem Recht vereinbar seien.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass § 9 Abs. 6 EStG verfassungsgemäß ist, änderte das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 AO.
Die Ausbildung zur Rettungssanitäterin habe nicht den Mindestumfang von zwölf Monaten aufgewiesen. Deshalb sei das Medizinstudium als Erstausbildung anzusehen. Die Aufwendungen hierfür seien gemäß § 9 Abs. 6 EStG nicht als Werbungskosten abzugsfähig. Die ursprünglichen Steuerfestsetzungen seien zu Lasten von Sandra zu ändern.
Das Finanzamt war jedoch nicht befugt die Einkommensteuer-bescheide zu ändern.
§ 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO erlaubt nicht die Korrektur einer rechtswidrigen, nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufigen Steuerfestsetzung.
Die Finanzbehörden sind lediglich "soweit" zur Änderung befugt, als sie die Steuer vorläufig festgesetzt haben - hier die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht.
Bestätigt das BVerfG die Vereinbarkeit des von der Verwaltung vorläufig angewandten Steuergesetzes, wie im vorliegenden Fall, ergibt sich kein Änderungsbedarf.
Nur falls das BVerfG das zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkende Steuergesetz als nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt, ist der vorläufige Bescheid zu seinen Gunsten zu ändern.
Das Finanzamt hatte die Kosten für das Studium fälschlicherweise als Werbungskosten anerkannt. Dieser Fehler betraf die Anwendung des Gesetzes aber nicht dessen Verfassungs-mäßigkeit. Das Finanzamt hätte den Fehler von Anfang an erkennen müssen.
Eine Berichtigung auf Grund § 129 AO bzw. eine Änderung nach den §§ 172 ff. AO kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Fazit:
Ein nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig erklärter Steuerbescheid kann nicht gemäß § 165 Abs. 2 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden. Bestätigt das BVerfG die Vereinbarkeit des Steuergesetzes mit höherrangigem Recht, besteht kein Korrekturbedarf.
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