Der Kläger Tim, der zur Abgabe einer ESt-Erklärung verpflichtet war, hatte am 30.12.2019 seine erstmalige ESt-Erklärung für das Jahr 2012, aus der sich eine ESt-Erstattung ergab, beim zuständigen Finanzamt eingereicht und mit einem separaten Begleitschreiben die Veranlagung der Einkommensteuer 2012 beantragt. Mit Schreiben vom 21.02.2020 lehnte das Finanzamt die Veranlagung unter Hinweis auf die eingetretene Festsetzungsverjährung ab.
Der BFH entscheidet hinsichtlich dieser strittige Frage wie folgt:
Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuer- oder Feststellungserklärung ist nicht als Antrag i. S. d. § 171 Abs. 3 AO anzusehen. Es kommt also nicht zu einer Ablaufhemmung. Dies gilt auch dann, wenn in einem Begleitschreiben von einem "Antrag auf Veranlagung" die Rede ist. Der Steuerpflichtige erfüllt durch die Abgabe der Steuererklärung seine gesetzliche Pflicht. Erfüllt er diese Pflicht, ist ein zusätzlicher Antrag gegenstandslos.
Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist in den Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, im Streitfall also mit Ablauf des 31.12.2015.
Die gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist endete damit mit Ablauf des 31.12.2019. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Steuerpflichtige zwar seine ESt-Erklärung 2012 beim Finanzamt eingereicht. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Vielmehr hätte der ESt-Bescheid 2012 den Bereich des Finanzamtes verlassen müssen (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO). Dies ist nicht geschehen. Die reguläre Festsetzungsfrist ist daher mit Ablauf des 31.12.2019 abgelaufen.
Der Steuerpflichtige kann sich auch nicht auf Treu und Glauben berufen, wenn er die Steuererklärung erst einen Tag vor Fristablauf beim FA einreicht.
Offen gelassen hat der BFH in welchen Fällen man sich auf Treu und Glauben berufen kann.
Aus unserer Sicht wäre das der Fall, wenn das Finanzamt im letzten Jahr der Festsetzungsfrist noch genügend Zeit hat, die Veranlagung durchzuführen. Dies sollte bei einer Abgabe von z. B. zehn Wochen vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Fall sein.
Fundstelle
BFH-Urteil, 28.07.2021, X R 35/20, BeckRS 2021 33782