90 %-Einstiegstest bei Handelsunternehmen

Erbschaftsteuer

Können Unternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln besteht und deren Hauptzweck eine gewerbliche oder selbständige Tätigkeit ist, die erbschaftsteuerliche Begünstigung für Betriebsvermögen erhalten? Dies musste jetzt der BFH entscheiden.

Betriebe, die im Wege der Erbschaft oder Schenkung übertragen werden, sind grundsätzlich erbschaft- und schenkungsteuerlich begünstigt. Zu beachten ist dabei der sog. 90 %-Einstiegstest, der als Missbrauchsvermeidungsvorschrift nur aus Finanzmitteln bestehende Cash-Gesellschaften von der Vergünstigung des § 13a ErbStG ausschließen soll.

Problematisch ist diese Vorschrift, da sie das Verwaltungsvermögen ohne Abzug von betrieblichen Schulden ins Verhältnis zum Unternehmenswert setzt, bei dem sich die Schulden mindernd auf den Wert ausgewirkt haben. Es wird demnach ein Bruttowert in Relation zu einem Nettowert gesetzt. Dies führt in der Praxis dazu, dass Unternehmen, deren Hauptzweck eine Tätigkeit nach den §§ 15 bzw. 18 EStG ist, von der Vergünstigung ausgeschlossen sind, obwohl kein Missbrauch vorliegt.

Dagegen geklagt hat ein Erwerber, der im Rahmen einer Schenkung alle Anteile an einer GmbH, die ein Handelsunternehmen betrieb, erhalten hatte. 

Der Wert der Anteile wurde mit rd. 1,25 Mio. EUR festgestellt, die Finanzmittel mit 2,5 Mio. EUR (aufgrund von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) und die Schulden mit 3 Mio. EUR (aufgrund von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen). 

Für das FA ein einfaches Spiel: Die Verwaltungsvermögensquote gem. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG berechnete es mit 2,5 Mio. EUR / 1,25 Mio. EUR = 200 % und verwehrte daher aufgrund der Fallbeilwirkung der Regelung jedwede Begünstigung.

Der BFH legt § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG gegen den Wortlaut der Vorschrift nach deren Sinn und Zweck aus und hält es daher für geboten, dass beim 90 %-Test bei den Finanzmitteln der gemeine Wert der betrieblich veranlassten Schulden abgezogen wird. 

Danach ergibt sich im Streitfall eine Verwaltungsvermögensquote von 0 % (0 EUR/1,25 Mio. EUR) und folglich eine Begünstigung der Anteilsübertragung durch § 13a ErbStG
Zu beachten ist aber, dass der BFH klarstellt, dass er missbräuchlichen Gestaltungen einen Riegel vorschieben will:

Sollte die vorgenommene Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG im Einzelfall dazu führen, dass sich Unternehmen, die der Gesetzgeber aufgrund ihrer hohen Verwaltungsvermögensquote von mindestens 90 % steuerrechtlich nicht begünstigen wollte, aufgrund missbräuchlicher Gestaltung die Begünstigung erschleichen, ist die Anwendung von § 42 AO nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, Rz 255).

Sofern der Betrieb nach seinem Hauptzweck eine gewerbliche, freiberufliche oder land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit ausübt und die Schulden betrieblich veranlasst sind (was bei Schulden im Betriebsvermögen natürlich eine Grundvoraussetzung ist), ist eine missbräuchliche Gestaltung grundsätzlich nicht anzunehmen. Der Streitfall war für die verfassungskonforme Auslegung "ideal", weil die Schulden überwiegend aus Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen bestanden haben.

Fundstelle

BFH-Urteil vom 13.09.2023, Az. II R 49/21

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